Logbuch SY PANGAEA / Red Sea
 
Suezkanal Süd

27.4.2005

 
Die Zeit vergeht. Frachtschiff um Frachtschiff verschwindet im Kanal. Kalka rudert im Bojenfeld herum. Auch bei uns kommt er längsseits und bittet um ein Empfehlungsschreiben. Eine solche Bitte überrascht mich und gerne stelle ich ihm ein solches Papier aus. Versehen mit unserem Schiffstempel macht es einen guten Eindruck. Seine abschliessende Bitte nach einem T-Shirt und einer Mütze gibt dem Ganzen einen fahlen Nachgeschmack.
Warten. PANGAEA schwojt beachtlich an ihrer Boje. Der letzte Frachter nimmt den Kanal Richtung Norden in Angriff. Vom versprochenen Lotsenboot keine Spur. Um 11 Uhr taucht Magni in einem Ruderboot auf. Als Agent rudert er natürlich nicht selber. Er sei hier, um das Geld für die erneute Übernachtung zu kassieren. Ich gebe mich überrascht und nehme die Worte, welche ich noch am Abend vor zwei Tagen aus seinem Mund gehört habe (zwei Suezkanal Tonnen mehr): Er solle doch nicht so knauserig sein. Es sei ja nur eine Nacht gewesen und was seien schon neun Dollars. Überhaupt, wir wollten keine weitere Nacht hier verbringen und ein Kriegsschiff hätten wir nie gesehen… Meine Antwort gefällt ihm gar nicht: Das Geld sei nicht für ihn. Er sei lediglich der Vermittler zwischen Kanalbehörden und uns Seglern. Ich bleibe stur: Das Geld hätten wir bereits für Lebensmittel ausgegeben. Von uns bekomme er nichts mehr. Als Agent hätten wir ihn schliesslich als Vermittler zwischen Behörden und uns angestellt. Und neun Dollar für die schlechten, schmutzigen sanitären Einrichtungen seien sowieso überrissen.
Tonfall und Taktik ändern sich: Das Lotsenboot komme jeden Moment und er habe keine Zeit für lange Diskussionen. Dann müsse er den Betrag halt aus der eigenen Tasche berappen, wenn wir uns weigerten die Übernachtung zu bezahlen. Nun, wir haben nicht den Eindruck, dass Magni am Hungertuch nagt. Nachdem er nebenbei zugibt, dass am Vortag wirklich kein Kriegsschiff den Kanal passiert hat, ist für uns definitiv klar, dass wir die Übernachtung nicht bezahlen werden. Magni räumt das Feld und gibt auf. Als er realisiert, dass mich in diesem Moment die HARLEKIN über Funk aufruft, verlangt er stillschweigen. Sie sind als nächstes an der Reihe…
Plötzlich tönt es aus dem Funkgerät: "Follow immediately the pilot boat number 1096. Fast, fast, don't wait." Nur keine Hektik nach so langer Wartezeit. Wir starten den Motor, lösen das letzte Tau am Bug und machen uns an die Verfolgung besagten Schiffes. Wir befinden uns im Suezkanal! Um 11:30 Uhr nehmen wir endlich die 44 Seemeilen nach Ismailia in Angriff. Wir sind in unserem Konvoi von fünf Segelschiffen die ersten und können damit die Geschwindigkeit vorgeben. Jetzt kann uns nur noch ein wirkliches Kriegsschiff und zu starker Gegenwind stoppen und zur Umkehr zwingen.
Die HARLEKIN folgt uns auf den Fuss und sucht Nähe. Offensichtlich will Ingrid gute Fotos von uns schiessen und Norbert fährt bis auf wenige Meter an unsere Badeplattform heran. Auch das Lotsenboot sucht Kontakt. Das grosse, schnelle Schiff kommt unvermittelt bis auf einen Meter neben uns heran. Die Besatzung will aber keine Fotos von uns, sondern fragt nach Zigaretten. Nachdem wir abwinken braust das Schiff zurück an die Spitze und lässt uns ihn seinen Wellen hin und her schaukeln.
Die Landschaft zieht vorbei: Sanddünen, Überresten von Militärbrücken, bewaffnete Militärposten, Autofähren und manchmal ein paar Häuser. PANGAEA erreicht unter Motor eine noch nie dagewesene Geschwindigkeit. Zum Teil zeigt das GPS bis zu sieben Knoten Fahrt über Grund. Auf der einen Seite hilft uns eine beachtliche Strömung. Auf der anderen Seite läuft der Motor auf einer Tourenzahl, die wir ihm sonst nicht zumuten.
Unser Lotsenboot schiesst plötzlich davon und steuert einen der Kontrollposten des Kanals an. Etwa alle zehn Kilometer ist ein solcher Stützpunkt eingerichtet. Von anderen Seglern und aus Berichten wissen wir genau, dass wir unter keinen Umständen an einem solchen Kontrollposten festmachen sollen, auch wenn wir dazu aufgefordert werden. Unsere Bedenken sind unbegründet. Hier wechselt lediglich das Lotsenboot. Ein neues Schiff mit neuer Besatzung begleitet uns bis zum nächsten Kontrollposten. Werden wir nun von jedem der noch kommenden Lotsenschiffe auf Zigaretten angesprochen?
Dann ist es so weit. Am Horizont tauchen die Umrisse der Pyramiden auf… Blödsinn, die Pyramiden stehen natürlich nicht am Suezkanal. Am Horizont tauchen die Umrisse des ersten blechernen Giganten der Meere auf. Schnell und unaufhaltsam nähert sich der Koloss. Wir fahren ganz am Rand des Fahrwassers und schauen gespannt in die Ferne. Susan und die Kinder sitzen wie im Theater auf dem Vordeck. Die Aussicht ist gigantisch. So nahe werden wir die Containerschiffe hoffentlich in freier Wasserbahn nie zu Gesicht bekommen. Fünf Lagen Container stapeln sich übereinander. Blaue, rote, grüne, graue, silbrige, gelbe Kisten sind zu einem riesigen dreidimensionalen Puzzle zusammengestellt.
In kurzen Abständen folgt ein Frachtschiff dem nächsten. Die Lücke zwischen Zweien ist ein wenig grösser und sofort dirigiert uns das Lotsenboot auf die andere Seite des Fahrwassers. Die Wellen der Frachter schütteln uns mächtig durch und die HARLEKIN macht bedenkliche Hüpfer durchs Wasser. Viel zu schnell ist der Frachterkonvoi zu Ende und wir gleiten aus dem künstlichen Kanal in den Bittersee.
Ein Nebelschleier senkt sich auf die Wasseroberfläche und die Sonne verdunkelt sich. Anzeichen für einen Sandsturm? Wir hoffen nicht. Die schiebende Strömung ist weg und wir sind langsamer. Doch niemand reklamiert. Kleine Fischerboote mit gross aufgespannten Segeln kreuzen unseren Weg. Auf Halbwindkurs gleiten sie elegant, schnell und leise über das Wasser. Wann war PANGAEA das letzte Mal nur unter Segeln unterwegs?
Das Steuern von PANGAEA erfordert einiges an Konzentration, doch die Arbeit ist eintönig und die weite Wasserebene des Bittersees lädt die Gedanken zur Wanderschaft ein. Wie ist dieser Kanal entstanden? Hat er von Anfang an so ausgesehen, wie er sich uns heute präsentiert?
Schon im Altertum war Ägypten aufgrund seiner Lage zwischen drei Erdteilen ein Durchgangsland. Im 13. Jahrhundert vor Christus bauten Ägyptische Pharaonen den ersten Kanal vom Nildelta zum Golf von Suez, um das Mittelmeer mit dem Roten Meer zu verbinden. Pharao Necho, die Perserkönige und die Ptolemäer erneuerten den Kanal, der erst unter Araberherrschft im 8. Jahrhundert versandete.
Der heute Suezukanal entstand 1859-1869 auf der Grundlage eines mit dem ägyptischen Vizekönig Said geschlossenen Konzessionsvertrages unter der Leitung des französischen Ingenieurs de Lesseps und nach Plänen des Österreichers Negrelli.
Dieser Kanal erschloss dem Weltverkehr eine seiner wichtigsten Wasserstrassen und verkürzt den Seeweg von Europa nach Asien gegenüber der Fahrt um das Kap der Guten Hoffnung um fast die Hälfte. Der Suezkanal ist 161 Kilometer lang (mit den Reeden der Häfen Port Said und Suez 171km). Die Mindestbreite der Kanalsohle misst heute 160 Meter. Schiffe mit bis zu 20 Meter Tiefgang und 150 000 Tonnen Gesamtgewicht können den Kanal passieren. Es gibt keine Schleusen, da der Kanal zwei Orte in Meereshöhe verbindet und dazwischen keine Erhebungen sind. In das Kanaltrasse wurden der Mensalesee, der Timsahsee und die Bitterseen einbezogen.
Die Baukosten für den Kanal betrugen etwa 150 Millionen Schweizer Franken (heutiger Wert). Etwa das Dreifache dieser Summe wurde für spätere Reparaturen und Verbesserungen aufgewendet. Ursprünglich hatte der Kanal an der Sohle eine Breite von 22 Metern und an der Wasseroberfläche eine Breite von 58 Metern. Die Tiefe betrug acht Meter.
Eine gewaltige Leistung, die hier vor fast 150 vollbracht wurde. Meine Gedanken kehren zurück in die Gegenwart, denn der See ist zu Ende und der Kanal beginnt von neuem. Die Sonne steht schon sehr tief und es sieht ganz danach aus, dass wir erst bei Dunkelheit in Ismailia ankommen werden. Im Red Sea Pilot wird erwähnt, dass es kleinen Schiffen untersagt ist, den Kanal bei Nacht zu befahren und dass sie bei Dämmerung ausserhalb des Fahrwassers ankern müssen…
Wir rechnen jeden Moment damit, dass uns unser Lotsenboot zur Seite beordert und zum Ankern auffordert. Zu unserem Glück zieht es ungebremst weiter. Nach langen Stunden tauchen endlich die Lichter von Ismailia auf. Wir haben die Hälfte des Suezkanals geschafft. Neben einem grossen Fischerboot fällt unser Anker. Morgen um fünf Uhr soll es bereits weiter gehen!
 
© Susan & Christoph Manhart, SY PANGAEA